Donnerstag, 25. August 2005
Pamplona, Refugio

Heute erst beginnt diese Aufzeichnung. Vorher war weder die Luft zum Schreiben, noch das Papier vorhanden gewesen. Jetzt gerade ist nun zwar das Papier da, aber die Luft hat sich wieder eingetrübt. Seit Beginn der Reise warte ich darauf, dass die gewisse Stimmung einsetzen möge - leider ist bislang das Gegenteil der Fall. Der Stress der bis heute andauernde Reise an den Camino hat uns nicht zur Ruhe kommen lassen und teilweise haben die Nerven ziemlich blank gelegen; tausend-und-eine alltägliche Kleinigkeiten haben uns in Anspannung gehalten, so dass nun sogar die Frage nach dem Inhalt & der Form dieser Aufzeichnung damit endet, dass ich hier allein im Aufenthaltsraum des Refugio sitze und Verena sich verzogen hat. Ich mag an dieser Stelle nicht darüber herziehen, was wer zu wem wann warum gesagt hat und beschränke mich lieber darauf, kurz aus der recht frischen Änderung wiederzugeben,

was bisher geschah:

Die Idee für den Camino stammt von Verena, die schon vor Jahr & Tag darüber Artikel gelesen und einen großen Bildband beschafft hat. Was genau die Faszination daran in ihr geweckt hat, ist schwer zu sagen; sie ist kein offen spiritueller Mensch, so dass ich das religiöse Pilgern als solches (was bedeutet das eigentlich?) mal ausschließen möchte. Es bliebe dann wohl die Lust auf eine Art modernes Abenteuer mit der spirituellem Hauch und sportlicher Herausforderung vor schöner Landschaft und Kultur - also durchaus nette Motive.

Nach der Geburt der Idee hatte der Camino sich bei uns durchgesetzt und ist zuletzt eine Art Meilenstein geworden, bevor sich die Lebensumstände möglicherweise ändern und besondere Reisen zu zweit wohl nicht mehr einfach möglich sind. Die genauen Planungen dürften etwa aus dem Jahreswechsel 04/05 stammen - ich erinnere mich, dass wir uns zu Weihnachten einen Schwung Reiseliteratur gewünscht haben. Als die dann kam ist der Camino leider mehr zu meinem Projekt geworden - auch hier könnte man über Gründe und deren Tauglichkeit als Gründe trefflich streiten. Festzuhalten ist, dass die Details und die Ausrüstungsideen etc. wohl im ganz Wesentlichen von mir stammen. Verena ist tendenziell in letzter Minute eingestiegen. So kann ich nur mutmaßen, ob die aktuell distanzierte Haltung daher (u.a.) kommt. Im Moment erinnert mich das alles eher an die Geschichte mit der Wohnungssuche vor Jahren ... Alles nicht ihr Ding. Die Frage, was ich daraus machen soll bleibt wie gewohnt offen.

Nachdem also zuerst die Flüge gesucht und gebucht waren und peu à peu die Ausrüstung beschafft war, haben wir am 23. August 2005 ab etwa 11:00 Uhr von TXL die Reise begonnen. Die gut in Kartons verpackten Räder waren wir gut los geworden - sehr gut wie sich bald herausstellen sollte. Nur als Randnotiz zur späteren Erinnerung füge ich hinzu, dass zu dieser Zeit die Umbauarbeiten in unserer erweiterten Wohnung abgeschlossen sein sollten, aber natürlich noch nicht waren... Bis in den Flieger nach Palma der Mallorca und später weiter nach Bilbao lief alles so weit gut, nur dass wir halt eigentlich körperlich und geistig am Ende waren.

Die abschließende Ankunft in Bilbao gegen 16:15 Uhr war daher im Grunde noch zu ertragen, wenn, ja wenn ansonsten alles glatt gegangen wäre. Es gibt halt für kleine Perfektionisten fast nichts schlimmeres, als durch fremde Hand trotz eigener vollständiger Leistung zum Erliegen zu kommen. Das ereilte uns in Gestalt des Bodenpersonals auf Palma de Mallorca, welches offenkundig beschlossen hatte, die zwei Kisten mit den Rädern - im Gegensatz zu den zwei Stücken anderen Gepäcks - als unanständig schwer und unhandlich und überhaupt zu betrachten. Und folglich erst mal über Nacht stehen zu lassen, getreu dem spanischen Ganzjahresmotto: "Maniana" (oder so ähnlich). Das saß! Und wir auch erst mal wie erschlagen da.

Dass die Tante bei der Gepäcknachforschung irgendwie nicht so aussah, als würde sie schnelle Erfolge garantieren, kam nur noch hinzu. Sehr routiniert wurde ich dort abgefertigt, am nächsten Tag wurde auch schnell klar, woher solche Routine kommt: Buchstäblich dutzende Gepäckstücke tummelten sich im Einzugsbereich ihres Büros, während keiner der Angestellten mit denen vom Vortag noch identisch war - ein schier unglaubliches Phänomen. Man kann nur vermuten, dass die verantwortliche spanische Fluglinie Iberia einen großen Teil ihrer "Manpower" darauf verwendet, Angestellte perfide übers Land zu verteilen, so dass für gehörige Gepäckbeförderung einfach keine Reserven übrig sind. Dazu passt auch die Episode mit der telefonischen Nachfrage am 24. August 2005 gegen 10:00 Uhr unter der extra angegebenen Nummer; erstmal geht vier bis fünf Mal keiner ran, bis die Leitung auf Besetzt schaltet, dann hebt jemand ab und legt den Hörer deutlich hörbar daneben ab, um nach 15 bis 20 sec. einfach aufzulegen und ab dann ist (Profis ahnen es) besetzt...

Nun gut, immerhin hatten Sie uns auch ein Rufnummer von Air Berlin gegeben und die dortige Dame war voller Mitgefühl. Sie legte sofort los und kündigte die Räder für denselben Flug, 24 h später, an. So kam es, dass wir tatsächlich noch einmal den wertvollen Flughafen von Bilbao ("BIO"!) kennen lernen durften und eine feine Sonderbehandlung erhielten, um überhaupt vorgelassen zu werden. Durchleuchtung etc. und ein schicker Aufkleber sind stumme Zeugen unseres Leidens. Aber Schwamm drüber. Im Grunde wollten wir ohnehin Bilbao ansehen, bloß die schiere Ungewissheit hätte nicht sein müssen...

 

Ende dieses Abschnittes